Stimulationsbasiertes LernenWie visuelle Stimulation das Gehirn trainiert

Funktioniert passive Stimulation genauso gut wie aktives Training?

Die visuelle Wahrnehmung lässt sich nicht nur durch Üben und Training, sondern auch durch passive Stimulation verbessern. Das zeigt jetzt eine Studie der Neurowissenschaftler Andreas Marzoll, Tan Saygi und PD Dr. Hubert Dinse von der Ruhr-Universität Bochum. Sie berichten ihre Ergebnisse in der Zeitschrift „Scientific Reports“, online veröffentlicht am 01. November 2018.

Die Wissenschaftler des Neural Plasticity Labs erforschen seit Jahren eine besondere Form des Lernens; das stimulationsbasierte Lernen. Dabei machen sie sich einen zentralen Lernmechanismus des Gehirns zunutze, den man Langzeitpotentierung, kurz LTP, nennt: Wenn Verbindungen zwischen Nervenzellen häufig genutzt werden, können sie Signale besser übertragen. Im Gegensatz dazu wird die Signalübertragung in Zellen, die selten benutzt werden, schlechter. Man spricht in diesem Fall von Langzeitdepression, kurz LTD.

Übung macht den Meister – stimmt das auch bei Nervenzellen?

Die Bochumer Forscher haben festgestellt, dass man die Verbindungen zwischen Nervenzellen auch durch passive Stimulation verändern kann. Wie dabei die Sinneszellen stimuliert werden, entscheidet darüber, wie die Stimulation wirkt. Hohe Reizfrequenzen lösen LTP aus, und führen zu einer besseren Signalübertragung. Niedrige Frequenzen dagegen führen zu LTD, wodurch die Signalübertragung erschwert wird. Bislang haben sich die Forscher auf den Bereich des Tastsinns konzentriert. So konnten sie beispielsweise zeigen, dass elektrische Stimulation an den Fingerspitzen mit LTP-artigen Frequenzen den Tastsinn verbessert. Nun haben sie das Konzept des stimulationsbasierten Lernens auf den visuellen Bereich ausgeweitet.

Die aktuelle Studie wurde an über 100 Teilnehmern durchgeführt. Die Probanden wurden etwa 40 Minuten lang mit unterschiedlichen Stimulationsprotokollen visuell stimuliert. Die Protokolle bestanden aus einem hellen „balkenförmigen“ Lichtreiz, der in einer hohen oder einer niedrigen Frequenz zwischen rechter und linker Schräglage hin und her flackerte. Auch Form und Größe des Balkens unterschied sich bei den einzelnen Protokollen. Außerdem gab es für einige Probanden eine Schein-Stimulation, bei der kein Balken zu sehen war. Die Forscher wollten wissen, welches der Protokolle die visuellen Fähigkeiten ihrer Probanden verbessern würde.

Nicht die Orientierung verlieren

Vor und nach der Stimulation wurden die Probanden auf ihre Fähigkeit zur Orientierungsdiskrimination untersucht. Bei diesem Test wird die kleineste Abweichung gemessen, bei der der Proband in der Lage ist, zu entscheiden, ob ein orientiertes Gittermuster im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn geneigt ist. Es zeigte sich, dass das Stimulationsprotokoll, bei dem der Balken in einer hohen Frequenz dargeboten wurde, die visuelle Leistung am stärksten verbessern konnte. Im Gegensatz zu trainingsbasierten Lernaufgaben war die hier beobachtete Verbesserung allerdings weitgehend unabhängig von der genauen Form der verwendeten Stimuli. Besonders interessant war die Beobachtung, dass der Zeitverlauf der Verbesserung der Diskriminationsfähigkeit Ähnlichkeiten hat mit der, wie sie bei trainingsbasiertem Lernen nach einer Schlafphase zu beobachten ist. Das könnte darauf hindeuten, dass stimulationsbasiertes Lernen vor allem einen Einfluss auf die Konsolidierung von Lerninhalten hat.

„Unsere Studie zeigt, dass LTP-artige Stimulation die visuellen Diskriminationsfähigkeiten des Menschen verbessern kann. Stimulationsbasiertes Lernen funktioniert also auch im visuellen Bereich“, berichtet PD Hubert Dinse, einer der Autoren der Studie. In einem nächsten Schritt würde er gern untersuchen, wie lange der positive Effekt der Stimulation anhält.