Neurophysiologie:Wie chronische Psychosen entstehen

Ein Glutamatrezeptor könnte eine besondere Rolle spielen.

Was auf molekularer Ebene im Gehirn passiert, wenn eine Psychose chronisch wird, haben Neurowissenschaftlerinnen der Ruhr-Universität Bochum untersucht. Sie zeigten, dass der Botenstoff Glutamat am Entstehen der Krankheit beteiligt ist; bisher richten sich Medikamente hauptsächlich gegen den Botenstoff Dopamin. Prof. Denise Manahan-Vaughan und Doktorandin Valentina Dubovyk vom Lehrstuhl Neurophysiologie beschreiben die Ergebnisse der Tiermodell-Studie in der Zeitschrift „ACS Chemical Neuroscience“ vom 10. April 2018.

Nicht alle Symptome gleich gut behandelbar

Bleibt eine Psychose nach dem ersten Schub unbehandelt, kann sie chronisch werden. Umso früher eine Therapie begonnen wird, desto aussichtvoller ist der Ausgang. Warum genau das so ist, weiß man allerdings nicht. Nicht alle Symptome sind derzeit gleich gut therapierbar. Die gängigen Medikamente sprechen das Dopamin-System an und unterdrücken einige Symptome wie Halluzinationen. Andere Symptome wie Konzentrationsstörung bleiben aber bestehen.

Aus diesem Grund wird seit einigen Jahren erforscht, ob auch der Botenstoff Glutamat an der Entstehung von Psychosen beteiligt ist. Forscher der RUB haben untersucht inwieweit frühe Veränderungen bei Glutamatrezeptoren an der Entstehung und Chronifizierung der Psychose beteiligt sind.

Die molekularen Mechanismen der Psychose verstehen

Wichtig für den Glutamat-Kreislauf im Gehirn ist der Rezeptor N-Methyl-D-Aspartat (NMDA), der aus mehreren Untereinheiten aufgebaut ist. Sie kommen vor allem in den Nervenzellen des Hippocampus und des Großhirns vor und sind dort am Bilden von Gedächtnisinhalten und der synaptischen Plastizität beteiligt. Je mehr NMDA-Rezeptoren eine Synapse hat, desto empfindlicher ist sie.

Die Wissenschaftlerinnen zeigten, dass sich die Glutamat-Empfindlichkeit des Gehirns im Laufe einer Psychose verändert. Im Gehirn von Ratten blockierten sie die NMDA-Rezeptoren mit dem Stoff MK801. Das löst Symptome aus, die denen einer Psychose bei Menschen gleichen. Die Forscherinnen analysierten kurz nach Gabe des Wirkstoffs, wie viele Untereinheiten des NMDA-Rezeptors in verschiedenen Abschnitten des Hippocampus vorhanden waren und verglichen Anzahl und Verteilung mit der bei gesunden Ratten. Außerdem wiederholten sie die Analyse bei Ratten, die seit drei Monaten Symptome einer Psychose zeigten.

Zeitlich gestaffelte Veränderungen

Zu Beginn der Psychose-Symptome stieg die Menge der GluN2B-Untereinheit des NMDA-Rezeptors in einem bestimmten Teil des Hippocampus an. Gleichzeitig war die Konzentration der GluN2A-Untereinheit teilweise stark zurückgegangen. Dies könnte einige Symptome der Psychose, wie Probleme im Kurzzeitgedächtnis oder bei der räumlichen Orientierung, erklären, folgern die Autorinnen.

„Unsere Beobachtungen zeigen, wie in unserem physiologischen Modell der Psychoseentstehung zeitlich gestaffelte Veränderungen im Hippocampus auftreten, die den pathologischen Veränderungen im Gehirn von Psychose-Patienten entsprechen, die durch eine Veränderung des Zusammenbaus und daher der Funktion des NMDA-Rezeptors herbeigeführt werden. Eine frühe Veränderung des NMDA-Rezeptors könnte daher Bestandteil der Entstehung einer Psychose sein“, so Manahan-Vaughan.