Taubenhirn:Neue Erkenntnisse zur Verbindung zwischen den Gehirnhälften

Forschung soll Rückschlüsse auf den Menschen geben

Das Gehirn von Columba livia, einer nahen Verwandten der Stadttaube, ist evolutionär gesehen ein Vorläufer des menschlichen Gehirns und daher für Neurowissenschaftler besonders interessant. Ein wichtiger Unterschied zum Gehirn des Menschen ist das Fehlen des sogenannten Corpus Callosum. Dieser dicke Nervenfaserstrang verbindet bei Menschen und anderen Säugetieren die beiden Großhirnhälften. Bei Tauben werden die Hirnhälften hauptsächlich durch die wesentlich kleinere Commissura anterior verbunden. Wissenschaftler im Sonderforschungsbereich 874 der Ruhr-Universität Bochum haben diese Struktur näher untersucht. Sie erhoffen sich dadurch ein besseres Verständnis des interhemispherischen Austausches bei Vögeln sowie Rückschlüsse auf andere Wirbeltierklassen. „The Journal of Comparative Neurology“ hat die Ergebnisse ihrer neuroanatomischen Studie veröffentlicht.

Auch ohne Corpus Callosum: Vögel sind zu komplexem Handeln fähig

Um zu überleben, sind alle Lebewesen auf den Informationsaustausch zwischen den Gehirnhälften angewiesen. Die Strukturen, die die zwei Hälften des Gehirns miteinander verbinden nennen Neuroanatomen „Kommissuren“. Bei Menschen und anderen höheren Säugetieren werden die Großhirnhälften vom Corpus callosum (dem „Balken“), der Commissura anterior und der Commissura hippocampora (der „Hippocampuskommissur“) verbunden. Vögeln, genau wie Beuteltieren, fehlt das Corpus callosum als großer Verbindungsstrang. Der überwiegende Teil des Austausches zwischen den Großhirnhälften geschieht über die Commissura anterior. Dennoch sind Vögel zu komplexem Verhalten und kognitiven Leistungen fähig.

Neue Markierungsmethoden zur Untersuchung von Commissura anterior

Bereits in den 70er Jahren hat eine Studie gezeigt, dass die Commissura anterior von Tauben ein breites Netzwerk an Hirnstrukturen miteinander verbindet. Seitdem haben sich Verfahren zum Darstellen von Verbindungen im zentralen Nervensystem jedoch stark verbessert, erklärt Doktorandin Sara Letzner: „Mit den Methoden, die uns heute zur Verfügung stehen, können wir viel genauer darstellen, wo Nervenstränge beginnen und wo sie enden.“ Das Team um Letzner und Prof. Dr. Onur Güntürkün hat mit diesen neuen Markierungsmethoden zum ersten Mal nach über 40 Jahren die Commissura anterior der Taube wieder genauer untersucht.

Wesentliche Unterschiede zu Säugetieren entdeckt

Die Arbeit der Neurowissenschaftler zeigt, dass es zwar einige Gemeinsamkeiten mit der Commissura anterior von Säugetieren gibt, aber auch wesentliche Unterschiede. Im Gegensatz zum Menschen werden bei Tauben keine Areale des Geruchssinns über diese Kommissur verbunden. Mit der Ausnahme der Somatosensorik, die zum Beispiel für Temperatur- oder Schmerzempfinden zuständig ist, gibt es an dieser Stelle keine Verbindung zwischen primären Arealen der Sinneswahrnehmung. Ein wesentlicher struktureller Unterschied ist zudem, dass die Commissura anterior bei Tauben überwiegend unterschiedliche Areale der beiden Hirnhälften verbindet und die Verbindungen zumeist Einbahnstraßen sind. Die Forscher konnten auch zeigen, dass nur eine äußerst kleine Anzahl an Neuronen am interhemispherischen Austausch über die Commissura anterior beteiligt ist.