Wo das Gedächtnis gebildet und abgerufen wirdNeue Erkenntnisse zu langjähriger Debatte

Forscher untersuchten Zellen des Hippocampus

Werden beim Bilden und Abrufen von Gedächtnisinhalten die gleichen Bereiche und sogar die gleichen Zellen der Hirnstruktur Hippocampus aktiviert, oder unterschiedliche? Diese Frage treibt Neurowissenschaftler schon seit Langem um. Wissenschaftler der Mercator Forschergruppe „Strukturen des Gedächtnisses“ der RUB fanden nun heraus, dass bei beiden Prozessen die gleichen Hirnzellen Aktivität zeigen. Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse im Journal „Hippocampus“.

Hippocampus: Der Schlüssel zum Gedächtnis

Bei ihrer Arbeit nahmen Dr. Nozomu Nakamura und Professor Dr. Magdalena Sauvage von der Arbeitsgruppe „Funktionelle Architektur des Gedächtnisses“ (FAM) die Hirnregion Hippocampus in den Fokus. Diese Seepferd-ähnliche Struktur spielt eine bedeutende Rolle bei der Bildung des Langzeitgedächtnisses sowie später beim Abrufen der Gedächtnisinhalte. Ist sie zum Beispiel im Alter oder bei einer Amnesie geschädigt, kommt es zu schweren Gedächtnisausfällen.

Bildung und Abruf von Gedächtnisinhalten

Für ihre Untersuchungen an Ratten adaptierten die Wissenschaftler einen bei Menschen standardisierten Wort-Gedächtnistest. Statt Wörtern sollten die Ratten jedoch Düfte erinnern. Die Forscher nahmen mehrere mit Sand gefüllte Becher und versteckten kleine Futterstücke darin. Der Sand enthielt außerdem in jedem Becher einen anderen Duftstoff wie Thymian oder Koriander. Beim Suchen nach den Futterstücken nahmen die Tiere diesen Duft durch die Nase auf. Jede Trainingseinheit bestand aus drei Phasen. Während der Lernphase präsentierten die Forscher den Tieren einige Gerüche. Darauf folgte eine Pause und anschließend die Wiedererkennungsphase. In dieser wurden den Tieren die Gerüche aus der Lernphase sowie andere Düfte präsentiert. Das Erkennen eines Duftes aus der Lernphase zeigten die Tiere an, indem sie zur Käfigrückwand liefen, wo sie für eine richtige Reaktion mit Futter belohnt wurden. Erkannten sie hingegen einen Geruch, der nicht in der Lernphase gezeigt worden war, zeigten sie dies durch Scharren mit den Vorderpfoten an.

Neue Forschungsergebnisse auf Zellebene

Mithilfe molekularer bildgebender Verfahren konnten die Forscher anschließend Regionen und Zellen des Hippocampus identifizieren, deren Aktivität während der Bildung und des Abrufens der Erinnerungen mit der Gedächtnisleistung in Zusammenhang stand. Dazu detektierten sie mRNAs von verschiedenen Aktivitätsmarkern, die eine starke Verbindung zum Gedächtnis haben. Es zeigte sich, dass diese Zellen ausschließlich im oberen Bereich des Hippocampus lagen, was bei Menschen dem hinteren Hippocampusbereich entspricht. Außerdem wurde deutlich, dass sowohl beim Bilden als auch beim Abrufen der Gedächtnisinhalte die gleichen Zellen aktiv waren. „Die Debatte darüber, ob bei beiden Prozessen die gleiche oder unterschiedliche Hippocampus-Regionen beteiligt sind, wird schon lange geführt“, so Prof. Dr. Magdalena Sauvage. „Das besondere an unserem Ansatz ist, dass wir wirklich jede einzelne beteiligte Zelle untersuchen konnten und so neue Erkenntnisse auf Zellebene erhalten konnten.“

Titelaufnahme

N.H. Nakamura, M.M. Sauvage (2015): Encoding and reactivation patterns predictive of successful memory performance are topographically organized along the longitudinal axis of the hippocampus, Hippocampus, DOI: 10.1002/hipo.22491