Navigation:Die Karte im Kopf

Wie sich Ratten im Raum orientieren

Sich an einem neuen Ort zurecht zu finden, ist gar nicht so einfach – auch nicht für Ratten. Forscher der Ruhr-Universität Bochum haben jetzt untersucht, wie ihr Gehirn diese Herausforderung meistert. Am Anfang stand die Frage, ob sich Ratten eher auf das verlassen, was sie sehen, oder auf das, was ihnen ihr Orientierungssinn sagt. Das Team um die Neurophysiologin Prof. Dr. Denise Manahan-Vaughan und den Neuroinformatiker Prof. Dr. Laurenz Wiskott veröffentlichte seine Ergebnisse in der Fachzeitschrift Frontiers of Behavioral Neuroscience.

Ausgetrickst für die Forschung

Ratten orientieren sich anhand von spezialisierten Gehirnzellen im Raum – für diese Erkenntnis wurde dem Neurowissenschaftler John O´Keefe 2014 der Nobelpreis verliehen. Die Zellen sind immer nur dann aktiv, wenn sich eine Ratte an einer bestimmten Stelle in einem Raum befindet. Deswegen nennt man sie auch Ortszellen. Sie sorgen dafür, dass sich im Kopf der Nagetiere eine mentale Karte bildet, anhand derer sie sich zurechtfinden. Ein Forscherteam der Ruhr-Universität Bochum hat nun untersucht, welche Signale Ratten nutzen, um diese Karten im Kopf zu erschaffen. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Ratten in den verschiedenen Lernphasen unterschiedliche Strategien anwenden, um eine räumliche Repräsentation zu erschaffen.“, verrät der Doktorand Abdelrahman Rayan, einer der Autoren der Studie. In neuen Situationen zum Beispiel verließen sich die Tiere lieber auf ihre Augen als auf ihren Orientierungssinn, stellten die Forscher fest. Um das herauszufinden, mussten die Wissenschaftler die Nagetiere zuerst austricksen. Sie präsentierten den Ratten zwei identische um 180 Grad rotierte Kammern, die durch einen Gang verbunden waren, der zunächst jedoch durch eine Barriere versperrt war. Für die Nager sollte der Eindruck entstehen, dass es sich bei den beiden Kammern um ein und denselben Raum handelte. Dieser Effekt wurde unterstützt, indem die Forscher Leuchtmarkierungen an denselben Stellen in beiden Kammern anbrachten.

Die Tiere durften die Kammern nur in völliger Dunkelheit erkunden – lediglich die Leuchtmarkierungen waren weiterhin sichtbar. Dabei zeichneten die Wissenschaftler die Aktivität der Ortszellen im Gehirn der Nagetiere auf. Diese Zellen feuerten in beiden Kammern im selben Muster – die Ratten benutzten also für beide Räume dieselbe mentale Karte und verließen sich dabei auf die visuellen Reize durch die Leuchtmarkierungen. Im zweiten Schritt des Experiments entfernten die Wissenschaftler die Barriere zwischen den beiden Kammern, sodass die Ratten nun zwischen den beiden Kammern hin und her laufen konnten. So merkten sie, dass es zwei unterschiedliche rotierte Räume gab. Die Forscher interessierte nun, anhand welcher Kriterien die Ratten lernen, die beiden Räume voneinander zu unterscheiden.

Orientierung von Innen

Da sie im Dunkeln und ohne Hilfe von Geräuschen oder Gerüchen agieren mussten, konnten sich die Tiere nur an den fluoreszierenden Markierungen orientieren oder auf ihren inneren Orientierungssinn verlassen. Wissenschaftler nennen diesen inneren Orientierungssinn idiothetische Orientierung. Im Gegensatz zu der Navigation mit Hilfe äußerer Reize arbeitet das Gehirn bei der idiothetischen Orientierung mit selbstgenerierten Informationen durch die Eigenbewegung des Körpers. Dabei errechnet es anhand von früheren Erlebnissen und Bewegungen, wo sich die Ratte gerade befindet. Dieselbe Art der Orientierung hilft auch uns Menschen im Dunkeln durch die Wohnung zu laufen, ohne über Gegenstände zu stolpern.

Während die Ratten zwischen den beiden Versuchskammern hin und her laufen konnten, orientierten sie sich zunächst weiter an den Leuchtmarkierungen in den Räumen. Das war auch daran zu sehen, dass sich die Aktivität ihrer Ortzellen nicht veränderte – die mentalen Karten blieben gleich. Erst nachdem die Ratten an mehreren Tagen beide Kammern erkunden durften, war zu sehen, dass sich die Aktivität der Ortszellen änderte. Mit fortschreitender Erfahrung lernten die Ratten also, beide Kammern anhand idiothetischer Informationen auseinander zu halten – obgleich die fluoreszierenden Markierungen in den beiden Räumen weiterhin identisch waren.