Neuronale Grundlagen:Vergleichbare Gedächtnisstrategien

Dohlen verbessern ihre Erinnerungsleistung, indem sie kontinuierliche Reize in Kategorien einordnen. Die sogenannte Attraktordynamik eröffnet neue Einblicke in die Funktionsweise des Gehirns.

Das Arbeitsgedächtnis ist bei höheren kognitiven Funktionen sowohl bei Primaten – zu denen auch die Menschen zählen – als auch bei Rabenvögeln von entscheidender Bedeutung. In ihren Untersuchungen mithilfe zweier Dohlen entdeckten Forschende der Ruhr-Universität Bochum nun bemerkenswerte Parallelen in der Gedächtnisoptimierung von Primaten und Rabenvögeln. Sie deuten darauf hin, dass die Fähigkeit, kontinuierliche Eindrücke in Kategorien einzuteilen, eine Schlüsselrolle in der Optimierung des Arbeitsgedächtnisses spielt. Die Ergebnisse wurden am 6. November 2023 im Fachjournal „Communications Biology“ veröffentlicht.

Erinnerungsleistung nimmt ab, wenn Arbeitsgedächtnis stärker beansprucht wird

Um die Gedächtnisleistung der Dohlen zu analysieren, führten die Forschenden um Erstautorin Aylin Apostel und Prof. Dr. Jonas Rose verschiedene Tests durch. Dazu wurden zwei Vögel darauf trainiert, sich Farben möglichst genau zu merken. Je nachdem, wie genau sie bei der Auswahl waren, erhielten sie unterschiedlich viel Futter. Die Vögel wurden vor verschiedene Herausforderungen gestellt. Zum Beispiel mussten sich die Dohlen Farben über verschiedene Zeiträume merken oder sich an mehrere Farben gleichzeitig erinnern. Die Belohnung für richtige Farbwiedergabe wurde abgestuft, um die Vögel zu motivieren, möglichst präzise zu antworten.

Die Forschenden stellten fest, dass die Leistung der Vögel abnahm, wenn das Arbeitsgedächtnis stärker beansprucht wurde. Aylin Apostel: „Die Funktionsweise des Arbeitsgedächtnisses zeigt sich beispielsweise in den Herausforderungen an Servicepersonal, das sich an größere Bestellungen erinnern muss. Ähnlich wie beim Menschen zeigen auch Rabenvögel eine verminderte Genauigkeit und eine Tendenz zur Voreingenommenheit, wenn das Arbeitsgedächtnis stärker beansprucht wird. Dies äußert sich in ungenaueren Erinnerungen, vergleichbar mit einem Kellner, der zwei Milchkaffee an Stelle von einem Latte Macchiato und einem Cappuccino bringt. Der Kellner hat aufgrund höherer Anforderung an sein Arbeitsgedächtnis beide spezifischen Bestellungen nur noch als allgemeinere Kategorie Milchkaffee im Kopf.“ Gleichermaßen zeigten die Vögel zunehmend kategorisches Antwortverhalten aufgrund von höheren Anforderungen an das Arbeitsgedächtnis.

Attraktordynamik als grundlegendes biologisches Prinzip

Als zentralen Punkt der Studie beschreiben die Forschenden die Attraktordynamik. Jonas Rose erläutert: „Die Attraktordynamik fungiert als grundlegender Prozess im Gehirn von Rabenvögeln und Primaten, um Erinnerungen geschickt in bestimmte Kategorien zu dirigieren. Die Gedächtnisleistung wird hierdurch in Teilen verzerrt und damit ungenauer, aber insgesamt verbessert. Die beeindruckende Entdeckung ist, dass dieses Prinzip im Gehirn von Rabenvögeln und Primaten gleichermaßen effektiv funktioniert, obwohl ihre evolutionären Pfade deutlich voneinander abweichen. Es scheint somit ein grundlegendes biologisches Prinzip für die effiziente Nutzung des Arbeitsgedächtnisses zu sein.“

Der Vergleich von Primaten und Dohlen eröffnet Einblicke in die Evolution und die Anpassungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses. Apostel: „Die Entdeckung gemeinsamer Prinzipien in verschiedenen Gehirnen bietet vielversprechende Ansätze für die Weiterentwicklung von allgemeingültigen Modellen, die die kognitive Funktionsweise von Tieren und Menschen erklären.“